Falstaff

Mi. 15.5.2024—Sa. 18.5.2024
Oper
Sujet: Falstaff | © Christian Schneider
Falstaff
Mi. 15.5.2024 — Sa. 18.5.2024

Sir John Falstaff ist ein Naturereignis: seine Erscheinung imposant, sein Auftreten gebieterisch, seine Art besitzeinnehmend. Und am faszinierendsten: Das Ereignis kümmert sich nicht um Regeln, Gepflogenheiten oder Anstand, es existiert einfach zu seinem Selbstzweck, gewissermaßen für nichts als seinen Bauch.

Commedia lirica in drei Akten
Komische Oper von Giuseppe Verdi
Libretto von Arrigo Boito

Falstaff lebt. Da kann man schon mal ein wenig neidisch werden. Zumal, wenn der eigene Alltag eher ereignislos ist. Allein Falstaffs Präsenz bringt die Menschen in seinem Umfeld außer Rand und Band, dazu muss er keine ungehörigen Liebesbriefe schreiben. Falstaff weckt Sehnsüchte, die man sich bisher versagt hat. Jetzt ist er plötzlich da. Und mit ihm die blanke Gier. Doch die Entfesselung setzt auch Ängste frei, die grässlichsten in Ford. Und also bläst Ford zur Menschenjagd auf den Genussmenschen Falstaff, die in einen regelrechten Exorzismus ausartet. 

Begierden, Eskapaden, Irrtümer – auf diese Mischung hat Giuseppe Verdi lange gewartet. Schon die Zeitgenossen waren überrascht, als er sein Tragödien-Schaffen mit einer musikalischen Komödie beschloss. Ziemlich dunkel ist sie geworden, dabei dennoch feinsinnig, federleicht – und bitterböse. Studierende der Universität Mozarteum spielen Verdis späte Komödie – sein Vermächtnis über die Laster und Schwächen der Menschen, an dessen Ende der alte Komponist einen Schritt zurücktritt, seinen schwarzen Hut zieht und den zappelnden Figuren beim Ringen um die letzten Reste ihrer Würde zusieht: Die ganze Welt ist ein Scherz. Lasst uns darüber lachen, solange wir es noch können.

 

  • Musikalische Leitung: Kai Röhrig
  • Regie: Florentine Klepper
  • Ausstattung: Romy Rexheuser
  • Dramaturgie: Heiko Voss
  • Sinfonieorchester Universität Mozarteum Salzburg

Dramatur Heiko Voss über "Falstaff":

 

 

Falstaff füllt die Leere, die sich in der Beziehung von Alice und Ford aufgetan hat. Dafür macht er das ganze Haus zu seinem Spielfeld – ohne Moral, ohne Rücksicht, ohne Skrupel, aber mit enormer Lebenslust und -freude. Die Etiketten, mit denen der Ford’sche Besitz gekennzeichnet ist, interessieren ihn nicht. Er verzehrt und verdaut einfach, was ihm zwischen die Finger kommt. Die Ford’sche Ehre? Ist für Falstaff lediglich eine Begriffshülse, hinter der sich nichts verbirgt als abgestandene Luft. Also hält er all denjenigen eine aufrüttelnde Predigt, die ihn mit dem nutzlosen Begriff behelligen. Falstaff ist ebenso faszinierend wie beängstigend. Denn Falstaff verletzt. Falstaff ist der Phantomschmerz, der nicht zu verorten ist. Falstaff ist das Verborgene, das Unterdrückte, das Unheimliche, das buchstäblich herausplatzt – dafür sorgt schon das Orchester, das Verdi immer wieder in Stellung bringt, um Falstaffs Attacken zu sekundieren. Falstaff ist der Katalysator für so unterschiedliche Gefühlswelten wie diejenigen Fords und Alices. Dass er dabei so reizvolle wie dunkle Züge zum Vorschein bringt, lässt ihn zu einem unberechenbaren Faktor werden. Falstaff verkörpert ein bedrohliches Prinzip, dessen Gefährlichkeit anfangs auch Alice unterschätzt. Am Ende wird die Bedrohung von allen bis aufs Blut bekämpft und niedergeschlagen. Der Leidtragende ist Falstaff. Wird er zunächst zum unfreiwilligen Spielball der Geschlechter-Auseinandersetzungen, so muss er schließlich herhalten, um die Gräben, die dabei aufgerissen wurden, wieder zu schließen. Zumindest den Versuch ist man sich schuldig.

Falstaff schuldet man nichts. In grausamer Selbstjustiz veranstalten die jungen Menschen eine regelrechte Menschenjagd, die fast schon an eine schwarze Messe erinnert und in der Verdi nicht umsonst den Ton seines Requiems anschlägt: Ruhe er in Frieden. Hat Falstaff, der urplötzliche Mittelpunkt ihres Seins, nicht die ganze Welt zu seiner Spielwiese erklärt? Soll er sich also einen anderen Ort suchen, an dem er in Frieden ruhen kann – beziehungsweise in Ruhe Unfrieden stiften kann. Doch Unruhe und Erregung waren schon vor Falstaff da. Und werden auch nach Falstaff da sein. Das ahnt vor allem Alice. Sie weiß, dass sie in ihrer Enttäuschung zu weit gegangen ist, die Spielbälle jongliert hat, um ihre ganz persönliche Rache-Show zu veranstalten. Ohne Rücksicht auf Verluste. Meisterhaft. Und bitterböse. Hat sie das gewollt? Oder hat sich das Spiel verselbstständigt? Und was geschieht auf der Zielgeraden? Hat Alice zu viel gesehen? Zu viel Hass, Sadismus und Gewalt? Oder setzt die Erkenntnis, sich endgültig von Ford entzweit zu haben, schon früher ein?

Alice hat ausgespielt. Und Verdi lässt offen, ob und wie man sich arrangieren wird. Seine Schlussfuge ist ein genialer Coup: So ist das Leben eben. Ein Spiel hört auf, ein anderes beginnt. Einmal trifft es ihn und einmal trifft es sie. Sei’s drum. Was jedoch bleibt, ist der schale Nachgeschmack, den die Konfrontation mit den eigenen Lebenslügen hinterlassen hat. Und die Frage, welche Rolle man beim nächsten Mal wohl einnehmen muss – im großen Welttheater, das für alle die Bühne stellt, aber nicht für alle das gleiche Maß an Leben bereithält.

  • Mrs. Alice Ford: Anna-Maria Husca / Donata Meyer-Kranixfeld
  • Nannetta: Anastasia Fedorenko
  • Mrs. Quickly: Jesse Mashburn
  • Mrs. Meg Page: Julia Maria Eckes
  • Sir John Falstaff: Sergey Korotenko
  • Mr. Ford: Jeconiah Retulla
  • Fenton: Lucas Pellbäck
  • Dr. Cajus: Konstantin Igl
  • Bardolfo: Yonah Raupers
  • Pistola: Dominik Schumertl
  • „The Fairies“: Magdalena Brandauer, Emma Kindinger, Esther Michel-Spraggett, Agnes Opitz